Wolfgang Roth

Emil Mangelsdorff 11. April 1925 – 21. Januar 2022Emil Mangelsdorff 11. April 1925 – 21. Januar 2022

Emil Mangelsdorff verstarb am 21. Januar 2022. Unsere Gedanken sind bei seinen Angehörigen und Freunden. Ein langes und erfülltes Musikerleben, geprägt vom ständigen Bestreben, dem Faschismus etwas entgegenzusetzen, ging zu Ende. Emil wurde 96 Jahre alt.

Emil gründete 1990 gemeinsam mit den Musikern Thomas Cremer, Stephan Schmolck, Manfred Bründl und Wolfgang Güttler die Jazz-Initiative Frankfurt am Main. Emil übernahm das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden, Vorsitzender war Thomas Cremer. Der Verein ist das Erbe, das es gilt, weiterzuentwickeln. Wir werden Emil nicht vergessen.

Die Trauerfeier für Emil findet am Mittwoch, 2. Februar um 12 Uhr auf dem Hauptfriedhof Frankfurt statt. Für die Trauerhalle ist die Zahl der Trauergäste auf 30 Personen begrenzt.

Wolfgang Roth, Vorstandsvorsitzender

 

Das, was gar nicht geht

Von Guenter Hottmann 02.02.22 17h

Ich komme gerade von Emils Beerdigung auf dem Frankfurter Hauptfriedhof. Trotz Pandemie-Beschränkungen eine würdevolle Veranstaltung! Ist ja gar nicht so einfach in diesen Tagen. Ich habe jedenfalls das gute Gefühl, dass die Feier Emil gerecht geworden ist.

Den vielen Worten der Trauer, des Lobes und Dankes an Emil muss man eigentlich nichts mehr hinzufügen. Alles scheint gesagt, gefühlt und kommuniziert zu sein. Emil, ein Wahrzeichen, gehört zu Frankfurt wie Paulskirche, Äppelwoi und die hiesigen Wörschtscher. Das hören wir zurecht bei Emil genauso wie schon damals bei Albert.

Hier vielleicht nur noch eine kleine Nebensache von meiner Seite: Als Jazz-Redakteur des Hessischen Rundfunks hatte ich die Ehre, die Mangelsdorffs, die beiden Frankfurter Monumente, in einer Band zu haben: im hr-Jazzensemble (früher: Jazzensemble des Hessischen Rundfunks). Hier passierte das, was eigentlich gar nicht geht: Die beiden in einer Combo. Ja sicher, nach dem Krieg, in den Fünfzigern bei den German All Stars, da waren die beiden Brüder noch Brüder im Geiste. Aber dann, dann gingen die beiden auseinander, musikalisch und menschlich. Es gab seit 1958 eigentlich keine Gruppe mehr, in der sich die beiden Mangelsdorffs Seite an Seite musikalisch artikulierten. Nur im hr- Jazzensemble war das Unmögliche möglich, und lange Zeit sogar.

Als Albert 2005 gestorben war, kam bald darauf Emil mit dem Wunsch zu mir, er wolle jetzt auch langsam aussteigen aus dem hr-Jazzensemble. Ich wusste, dass ihn der modern agierende Experimentierzirkel musikalisch nicht mehr so recht erfüllte. Aber ich bat ihn, zu bleiben – aus musikalischen und aus strategischen Gründen. Der Verlust beider Mangelsdorffs würde die hr-Oberen mutmaßlich zur Einstellung der Traditions-Veranstaltung motivieren; war man doch da ohnehin etwas erfolgstrunken mit der hr-Bigband, die gerade zu reüssieren begann — vielleicht auch zu wenig historie-bewusst, welch ein Pfund man eigentlich im Stall hatte mit dem legendären hr-Jazzensemble. Und Emil blieb. Noch viele Jahre. Obwohl ihm dieses krause Zeug, was da zusammengespielt wurde, nicht unbedingt mehr eine wirkliche Herzensangelegenheit war.

Auch das war Emil! Eine Facette von ihm, die nur wenige kannten. Die war es mir wert, hier noch hinzugefügt zu werden zu den Bildern, die wir alle von ihm kennen. Der Schöngeist und Lyriker, dessen Herz mehr für die Tradition schlug, war auch offen für Schräges aus der Bastelküche des Zeitgenössischen. Dafür danke ich ihm auch posthum mit einer tiefen Verbeugung. Danke, Emil!

Der bedauernswerte Abtritt von Emil mit all seinen Tugenden — ein aufrechter Demokrat zu sein, ein Humanist bis ins Mark, als politischer Mahner vor dem Faschismus bis in seine letzten Tage aktiv zu sein – all diese Unbestechlichkeiten missen zu müssen, fällt in eine Zeit, in der libertäres Denken, Empathie und Aufrichtigkeit ohnehin zu zerbröseln scheinen wie poröser Stein. Mit Emil geht womöglich viel mehr als nur ein bemerkenswerter Zeitgenosse. – Emil, Dich zu vermissen, ist vielleicht zu wenig!

 

„Der Jazz ist eine Musik, die Freiheit darstellt.“ (Emil Mangelsdorff)

Von Jonas Lohse, Mitglied des Vorstandes

Wenn der junge Musiker Emil Mangelsdorff mit der Harlem Combo in der Rokoko-Diele auftrat, war es immer voll. Wer sich die Haare etwas länger wachsen ließ und lieber einen Trenchcoat mit weißem Schal als ein braunes Uniformhemd trug, der war in jenen Jahren Sonntag nachmittags ziemlich sicher auch in der plüschigen Hotelbar im Frankfurter Bahnhofsviertel anzutreffen. Mit dem Militarismus und der Ideologie der Nazis wollten Mangelsdorff und seine Clique so wenig wie möglich zu tun haben – ihre Leidenschaft war der Swing, und ihre Idole amerikanische Jazzmusiker wie Benny Goodman, Roy Eldridge und Coleman Hawkins.
Der Nonkonformismus der Frankfurter Swingjugendlichen blieb auch dem „Jugendbeauftragten“ der Gestapo nicht verborgen. Der SS-Mann sorgte dafür, dass Emil wiederholt für mehrere Wochen in Gestapo-Haft genommen wurde (Vorwurf: „Wehrkraftzersetzung“), und schließlich mit Erreichen der Volljährigkeit an die Ostfront geschickt wurde. Dort geriet er 1944 in russische Gefangenschaft. Erst 1949 durfte er nach Frankfurt heimkehren. „Ich habe immer ein bisschen darunter gelitten, dass mir die Zeit zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr fehlt. In dem Alter, an in dem man am aufnahmefähigsten ist, gab es ja nicht mal die Gelegenheit, Musik zu hören, geschweige denn zu spielen“, sagte Mangelsdorff.

Mit Talent und Fleiß gelang es ihm, als Musiker rasch wieder den Anschluss zu finden. Die Nachfrage nach Jazz war in den Nachkriegsjahren groß: In den Clubs der hier stationierten Amerikaner waren die deutschen Jazzmusiker gern gesehene und gehörte Gäste. In den 1950er Jahren machen die Musiker um Emil Mangelsdorff Frankfurt zum Epizentrum des Jazz in Deutschland. Frankfurt hatte die angesagtesten Bands, das größte Jazzfestival, den coolsten Jazzkeller. In den Jazz-Polls (den Ranglisten der Jazzzeitschriften) gehörte Emil Mangelsdorff bald zu den führenden Jazzmusikern der Republik. Und das auf gleich drei Instrumenten: Klarinette, Altsaxophon und Flöte.

Emil Mangelsdorff blieb Swing und Bebop weiter treu, als in den 1960er Jahren die Beatmusik begann, dem Jazz Konkurrenz zu machen. Mit dem Freejazz bildete sich zudem eine neue und schwerer verdauliche Form des Jazz heraus. Nicht in der Frage „Free kontra Swing“, sondern in „Jazz oder nicht Jazz“ sah er seine Herausforderung als Jazzmusiker. „In der heutigen Zeit wuchert ja der Free Jazz, dem ich mich auch verbunden fühle. Allerdings ist nicht alles gut, was auf diesem Gebiet vorgeführt wird. Und vor allem dürfte es dem Publikum schwerfallen, sich in diese Musik hineinzuleben. So ist es verständlich, dass viele zum Beat überschwenken. Wenn ich aber vor die Alternative Beat oder Swing-Musik gestellt werde, entscheide ich mich selbstverständlich für den Swing“, sagte er 1967 in einem Interview.

Auch über 80 Jahre nach seinem Debüt als Jazzmusiker übte Mangelsdorff täglich auf seinem Altsaxophon und stand regelmäßig auf der Bühne. Er blieb den jüngeren Jazzmusiker-Generationen immer eng verbunden: in den 1960ern als Mitinitiator von Jazzkursen an der Musikschule, als Gründungs- und Vorstandsmitglied der Frankfurter Jazz-Initiative in den 1990ern, oder als Juror bei Nachwuchswettbewerben. Auf seinen Erzählkonzerten berichtete er über seine Zeit als Jugendlicher im Faschismus des Dritten Reichs. Sein breites Engagement für Jazz und Demokratie fand u.a. Anerkennung im Hessischen Jazz-Preis, der Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen, der Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt und des Landes Hessen, der Johanna-Kirchner-Medaille, einer Ehrenprofessur des Landes Hessen und dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Im Frankfurter Holzhausenschlösschen hatte er mit seinem Quartett an jedem ersten Montag im Monat einen Steady Gig, der stets lange im Voraus ausverkauft war. Für diese Konzerte lud er immer einen weiteren Solisten ein – nicht selten Musiker, die seine Enkel sein könnten. Musiker, für die diese Einladung so etwas wie ein Rittersschlag bedeutet. Für Februar war dort sein 214. Konzert dieser Reihe geplant. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist Emil Mangelsdorff im Alter von 96 Jahren gestorben.

(Dieser Nachruf erschien auf Jonas‘ Kontrabass-Blog und im Journal Frankfurt)